Olaf Posdzechs C4-Pool] [Arzneimittel-Index]
last update: 2005-11-01

Vier Schlangen – vier Pole
(Eine erlebte Differentialdiagnose)

Inhalt

Einführung
Empirisches Bild (vipera, lachesis, crotalus horridus, naja)
Versuch einer einheitlichen Beschreibung
Anhang: Symptome von Crotalus horridus

Jenseits vom klassischen Arzneimittelbild werden in diesem Text die vier Schlangenmittel so beschrieben, wie sie während der aufeinanderfolgenden Arzneimittelprüfung innerhalb eines Jahres erlebt wurden. Dabei zeigte sich, dass der Schwerpunkt des Arzneimittelthemas auf ganz unterschiedlichen Ebenen liegt, und auch die Qualität der Gefühle war bei jeder Schlange jeweils eine ganz andere.
Nach dieser Erfahrung lassen sich die Schlangen sehr klar und deutlich voneinander abgrenzen, so dass ein allgemeine Verschreibung von Lachesis als "die" Schlange nicht mehr angeraten scheint.

Im zweiten Teil des Aufsatzes wird eine synthetische Sicht versucht, die sich jedoch zu etwa 80% auf tatsächlichen Beobachtungen während der Arzneimittelprüfungen stützen kann. Wegen dem Übersichtscharakter des Aufsatzes wurde jedoch darauf verzichtet, alle Aussagen durch entsprechende Zitate aus den Arzneimittel-Prüfungen zu belegen.

Einführung

Im Laufe des Jahres 1998 hatte die Berliner Verreibegruppe die seltene Gelegenheit, gemeinsam mit Witold Ehrler alle vier Schlangengifte zu verreiben und mit diesen Arzneimitteln Erfahrungen im eigenen Leben zu machen. Zwei Mal war der Ausgangsstoff vor der Verreibung bekannt (Vipera und Crotalus) und zwei Verreibungen waren für die meisten Teilnehmer blind (Lachesis und Naja, in der Zwischenzeit wurden unter anderem Aranea und Selen verrieben).

Als wir mit Vipera begannen, wußten wir nicht, was uns dieses Experiment bringen würde. Es bestand die Aussicht, daß sich die vier Stoffe sehr ähneln würden, und diese Aktionen vergleichsweise langweilig werden dürften. Zu unserer Überraschung haben sich die Schlangen aber dann als so völlig unterschiedlich erwiesen, daß es schwerfällt, überhaupt Gemeinsamkeiten zu benennen!
Erstaunlicher Weise siedeln die Schlangen ihr jeweiliges Thema in jeweils einer anderen der vier Ebenen von C1 bis C4 an. Sie decken damit den ganzen Zyklus unsere eigenen Schlangenproblematik vom Körper über die Gefühle und Gedanken bis in die Bereiche unserer Sinnsuche ab. Das ist wieder einmal ein Punkt, an dem wir nur staunend wahrnehmen können, daß unsere Urväter die diese Schlangenmittel in die Homöopathie einführten, wußten, was sie taten, obwohl sie nicht wußten, was sie taten!
Zugleich scheinen die vier Schlangen auch einen speziellen Weg zu beschreiben, den die Seele im Umgang mit diesen Kräften gehen kann, wobei jede Schlange in ihrer Krankheit auf einem anderen Punkt dieses Weges festklemmt und nicht mehr weiter kann.
Die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Schlangen möchte ich an dieser Stelle in ihrem Umgang mit Sexualität, Einsamkeit und Schmerz darstellen.
Allen Schlangen gemeinsam ist, daß sie versuchen, die Lösung ihres Problems im Kopf zu finden. Worin dieses Problem besteht, und wie diese Kompensation dann konkret aussieht, ist aber recht unterschiedlich.

Empirisches Bild

Vipera erschien uns als die Schlange der Körperebene. Ständig sexualisiert und von allen Seiten verführt, versucht sie ganz hilflos, im Kopf irgendeine Antwort auf die Frage zu finden, was sie denn nun tun soll. Soll ich mit diesem Mann, oder doch lieber mit diesem? Oder vielleicht doch mit einer Frau? Und bin ich denn überhaupt monogam? Eigentlich habe ich ja doch Lust auf alle – aber wie soll ich das denn nun wieder hinkriegen? Der Zweifel durch Verführung ist allgegenwärtig, und Vipera ist ziemlich hin und her geworfen in den Trieben, die sich in ihr von allen Seiten melden. Ein wunderschöner Satz aus der Vipera-Verreibung war die Erkenntnis, daß der Zweifel nur dadurch entsteht, daß zu der festen Lösung ein zusätzliches Angebot hinzu tritt, eine zusätzliche zweite Chance, alles ganz anders zu machen. Daß also der Zweifel, den Vipera als Fluch erlebt, eigentlich der Eintritt der Freiheit ist.
Die Lösung für Vipera ist die Erkenntnis, daß es egal ist, was man tut. Entscheidend ist nur, daß man überhaupt etwas tut – denn nur so kann man im Leben eine wirkliche Erfahrung machen. Im Kopf macht man keine Erfahrung.
Man kann also sagen, die erste Aufgabe von Vipera besteht darin, der Verführung zu folgen. Sie muß mit ihr umgehen, und zwar im praktischen Handeln. Das bedeutet, den Konflikt zwischen körperlichen Bedürfnissen und sozialem Verhalten lebendig zu leben. Dabei ist die Forderung an Vipera, diesen Umgang mit der Verführung sozial offen zu legen. Es wäre wahrscheinlich politischer Sprengstoff, wenn das wirklich gelebt würde. Witold Ehrler hat diese Aufgabe auf die schöne Formel des Wahrhaftigseins gebracht. Die Aufgabe für Vipera ist es, wahrhaftig zu sein in ihrem Umgang mit der Verführung.
Auch die oft benannte Verquickung von Vipera mit totalitären Gewaltorganisationen (SA, Stasi) scheint aus der Verführung zu kommen. Ein Prüfer hatte vor der Verreibung den Traum, er wird im Zug von der Leibgarde des Führers mitgenommen, damit er dieser Leibgarde beitritt. Und im Traum war er ständig hin und her geworfen zwischen klarer moralischer Entrüstung und einem Gefühl der Verführung und geschmeichelt sein.

Während Vipera bei all dem noch so etwas leichtes und flüchtiges hat (von einer Verführung zur nächsten), steckt Lachesis in dem Drama ein ganzes Stück mehr drin. Für Lachesis ist es keine Frage mehr, ob man seine Triebe lebt, Lachesis folgt der Verführung. Ewig auf der Suche nach dem verlorenen anderen Teil, der uns wieder heil macht, fühlt sie sich zutiefst verletzt durch die Spaltung und spaltet doch selbst immer wieder aufs Neue.
Lachesis steckt in einem Gefühlsdrama, in dem es sich selbst als Opfer erlebt, das ständig zu wenig bekommt. Aus dieser Verletzung heraus beißt sie immer wieder zu, ohne ihre eigene Verletzung zu zeigen. Ihre Wahrnehmung der Umwelt ist vor allem Argwohn. Keinem traue ich was Gutes zu, weil ich die anderen genau so erlebe, wie ich im Grunde eigentlich bin.
Die Kompensation dieser Verletzung ist für Lachesis, im Kopf raffinierte Strategien zu entwickeln, mit denen sich das Ganze noch irgendwie zum eigenen Vorteil steuern läßt. Der Haken darin ist, daß sie zumindest unbewußt weiß, daß dadurch alles nichts wert ist, was sie bekommt. Weil sie nichts freiwillig bekommen hat, und sie sich jede Form von Zuwendung nur selbst organisiert hat.
Die Lösung für Lachesis liegt darin, das eigene Rollenspiel zu transzendentieren und die Täter-Opfer-Sicht völlig zu verlassen. Dazu muß sie ihre eigenes Tätersein erkennen (was natürlich schmerzhaft ist) und lernen, ihre eigene Verletzung und ihre Ängste offen zu legen. Damit sie sich ihrer Umwelt endlich so zeigt, wie sie wirklich ist.

Crotalus hat auch die Gefühlsebene hinter sich gelassen und ist damit die Schlange der C3. Sie repräsentiert den reinen Geist. Es ist grausam anzusehen, zu welchem Monster der Mensch in Crotalus entartet, wenn er seine Gefühle so vollkommen abgespalten hat!
Weil Fühlen zu sehr wehtut, lebt Crotalus als eiskalter Killer in einer Welt der reinen Funktionalität. Alles wird nur noch nach seiner Funktion bewertet, nach meßbarem abzählbaren Erfolg. Sexualität ist auf den rein körperlichen Vollzug reduziert, ohne irgendein Bedürfnis nach seelischem Kontakt. So zählt nur noch der Überlegene, und Crotalus steuert damit – paradox genug – in diesem Kampf um den persönlichen Vorteil auf den wirklichen Tod zu, den es zuvor auf der Gefühlsebene vermeiden wollte. So ist das Schicksal von Crotalus in jedem Fall der Tod: sie hat die Wahl, irgendwann in diesem Kampf nicht mehr der schnellste zu sein und zu verlieren. Oder sie nutzt die Chance, den ausgeblendeten Tod in ihr Herz zurückzuholen und verdrängten Abschiedsschmerz zu durchleiden, um dadurch wieder leben zu können.
Dann kann sie auch endlich wieder beginnen zu lieben. Doch selbst in der Liebe ist Crotalus horridus die "schreckliche" Schlange. Denn was sie von uns in der Liebe fordert, ist für uns ebenso schrecklich: Gib alles auf was du dir wünscht, vergesse deinen Eigennutz vollständig - nur dann kannst überhaupt lieben! Aber nehme in Kauf, daß du vielleicht noch nicht einmal etwas dafür erhalten wirst!

Als letze in diesem Schauspiel begegnete uns Naja, die mit Zweifel, Tod und Verführung auf der Wesensebene konfrontiert ist.
Naja hat nun auch dem eigenen Geist entsagt und sucht jetzt seinen Trost in einer spirituellen Ebene. Hier füllt sich der Geist quasi "von oben her" mit fremden spirituellen Konzepten, statt selbst das Leben zu reflektieren. Der Körper tut klaglos sein Tagwerk, und das Ich flüchtet sich in eine schönere Welt. Diese künstliche Welt ist aber durch den fehlenden Kontakt zu Gefühl und Körper so entrückt, daß dort keine wirklichen Erfahrungen mehr gemacht werden können. Damit ist sie verlogen und unproduktiv.
Erlösung für Naja ist, irgendwann aufzuwachen, und plötzlich die Welt und sich selbst ganz wach zu sehen, und zwar auch hier auf eine völlig andere Perspektive. Erlösung für Naja heißt, nun endlich ihre Körperlichkeit zu leben, sprich: ihre Sexualität. (Bekannt ist bei Naja das Leitsymptom: Sex bessert alle Beschwerden. Das bekannte Naja-Symptom der Eierstockzysten ist eigentlich ein Heilversuch des Körpers, denn der drastisch erhöhte Östrogen-Spiegel bewirkt eine jugendhafte verführerische Ausstrahlung.)

Wir sehen zusammenfassend, daß alle vier Schlangen ihren Kopf nicht mit dem Körper – und vor allem nicht mit ihrem Herz - verbunden haben (daher auch die vielen Halsprobleme...). Wie diese Trennung aussieht, ist dann aber doch sehr unterschiedlich. Abschließend sei die Art, wie die vier Schlangen ihre Probleme kompensieren noch einmal an ihrem Umgang mit dem Thema Einsamkeit veranschaulicht.

Vipera versucht, das Thema durch Masse zu kompensieren.
Lachesis versucht, das Defizit krampfhaft zu managen.
Crotalus schneidet die Gefühle einfach weg.
Und Naja entflieht dem Schmerz in eine andere Realität.

Versuch einer einheitlichen Beschreibung

Auf einer abstrakteren Ebene kann man das Drama der Schlangen wie folgt beschreiben :
Die Schlangen zeigen uns vier Irrwege, auf denen das Ich versucht, mit den Anforderungen des Körpers (Trieb, Es), der Kultur (soziale Bedürfnisse, Über-Ich), des Geistes (lineares zählendes Denken) und einer spirituellen Sinngebung umzugehen. Die Art des Umgangs ist immer manipulativ, das heißt, das Ich versucht auf dem jeweils fokussierten Gebiet etwas für sich zu maximieren.

Abb. 1: Zyklus der vier Schlangen

Vipera strebt nach maximaler Triebbefriedigung.
Lachesis manipuliert den sozialen Kontakt.
Crotalus agiert allein auf der Basis von Berechnung.
Naja macht sich eine künstliche spirituelle Sinngebung.

Das Drama dabei ist, daß alle vier dabei versuchen etwas zu steuern, das sich nicht steuern läßt. Jede der vier Schlangen hat dabei zugleich ihre Wurzel verlassen.

Vipera das Wissen um eine innere Bestimmung.
Lachesis das Gespür für ihre wirklichen Körperbedürfnisse.
Crotalus entbehrt jedem sozialen Gefühl.
Naja verachtet das Gesetz der Logik und der Zahl.

Zugleich ersetzt die Täuschung eine wirkliche Erkenntnis auf der nächsten Ebene, weil diese Ebene in den Dienst der Verhaftung gestellt wird.

Vipera gestaltet ihren sozialen Kontakt als Werkzeug der Triebbefriedigung, und verwechselt das mit sozialem Kontakt.
Lachesis findet tausend rationale Begründungen für ihre Manipulationen und verwechselt dies mit Wissen.
Crotalus glaubt, der einzige Sinn liege darin, die Gesetze zu erkennen und auszunutzen und verwechselt dies mit Sinngebung.
Vipera meint, ein spirituelles Dasein sei der Sinn des Lebens und verwechselt das mit dem Leben.

Alle vier werden in ihrer Heilung ihr inneres Erleben als eine vollkommene Täuschung erkennen müssen und es auf eine völlig neue Sicht transzendentieren. Auf dieser höheren Ebene sieht man, daß das alte Erleben zugleich stimmt und doch eine Täuschung ist.

Vipera &ndash die Schlange, die unsere körperlichen Bedürftigkeiten in Frage stellt.
Lachesis – die Schlange, die unsere Emotionen in Frage stellt.
Crotalus – die Schlange, die unsere in geistigen Konzepte, unser auf Zahlen und Logik fundiertes Wissen in Frage stellt.
Naja – die Schlange, die unsere Wesenskonzepte, unsere höheren spirituellen Weisheiten in Frage stellt.

Es ist nun so, daß eine neue, weitere Sicht hier nicht künstlich von außen gesetzt werden kann, etwa durch eine Autorität. Denn für die Schlangen gibt es keine Autorität. Vielmehr muß dieser Umschlag vom Ich selbst durchdrungen sein.
Danach könnten die Schlangen folgendes erkennen:

Vipera erblickt die wechselnden Forderungen ihre Körpers aus dem Eingebundensein in einen sozialen Kontext.
Lachesis verliert die Täuschung des polaren Erlebens ihrer sozialen Kontakte, und durchschaut nun höhere Zusammenhänge.
Crotalus erkennt die Unwesentlichkeit aller geistigen Konzepte aus einer höheren Sicht.
Für Naja bricht alles, was sie für esoterische Erkenntnisse hält, als Täuschung zusammen, und sie beginnt zu leben.

Neben dem Ich-bezogenen Lebensmodell der Schlangen, mit diesen Kräften umzugehen, scheint es auf der anderen Seite auch den entgegengesetzten Versuch einer Lösung zu geben, in dem das Ich sich völlig aus diesem Konflikt isoliert und nicht mehr handelt. Dann handeln nur noch die reinen Kräfte in uns, und das Ich trägt keine Verantwortung mehr.
Auf dieser passiven Seite finden wir zum Beispiel Ambra im Pol der Entrückung, und Bufo auf der Seite der Triebsteuerung.

Es hat den Eindruck, die Schlangen heilen diese Irrwege nicht, indem sie etwas ändern. Sondern sie öffnen unseren Blick für das, was wir da tun. Damit machen sie uns wissend. Nach der Begegnung mit den Schlangen kann man nicht mehr behaupten, man weiß es nicht anders. Nach den Schlangen sind wir schuldig. Sie geben uns damit die Ehre zurück, unsere Schuld selbst zu tragen und es von nun an besser zu tun.
Die Verantwortung jedoch überlassen die Schlangen (raffiniert genug) dem Ich. Es hat auch die Möglichkeit, auf Schlangenart weiterzumachen. Dann könnte es sein daß es – vielleicht in einem anderen Lebensfeld, aber nicht klüger geworden – erneut in das Drama einer Schlange eintreten wird.

Spannend finde ich, daß die Lösung der Schlangen aber nicht darin liegt, das Ich nun aufzulösen (wie es beispielsweise bei Ambra der Fall ist), sondern daß das Ich wissender wird, bewußter und reifer.

Olaf Posdzech
6.12.1998


Anhang: Einige wichtige Symptome von Crotalus Horridus

Geist, Gemüt

Körpersymptome

Crotalus-Heilung

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